HUK verliert wiederholt gegen VINQO vor AG Coburg

Urteil Gericht

Das Urteil reiht sich in die ununterbrochene Reihe an Niederlagen der HUK gegen das Verbraucher Legal-Tech VINQO. Das Legal Tech VINQO klagt gegen die HUK in einer Vielzahl an Verfahren ausnahmslos erfolgreich auf Erstattung der Gebühren, damit Rechtssuchende ohne jedes Kostenrisiko rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen können. Nach der 12. Abteilung hat nun auch die 17. Abteilung die Rechtsverfolgungskosten in voller Höhe zuerkannt.

Az. 17 C 2612/21

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

Legal Data Technology GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer Tim Platner, Heinz-Fangman-Straße 2-6, 42287 Wuppertal

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte XXXX

gegen

HUK-Coburg-Allgemeine Versicherung AG, vertreten durch d. Vorstand, Bahnhofsplatz, 96450 Coburg,

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte XXXX

wegen Forderung

erlässt das Amtsgericht Coburg durch die Richterin am Amtsgericht XXXXX am 14.10.2021 aufgrund des Sachstands vom 06.10.2021 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes

Endurteil

(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 90,96 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.07.2021 zu zahlen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 90,96 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb die­ses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Die gem. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG für den Bereich der Inkassodienstleistungen bei dem OLG Düsseldorf als Rechtsdienstleister registrierte Klägerin betreibt die Verbraucherplattform „VINQO.DE“, auf der sie Geschädigten die außergerichtliche Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzsansprüchen anbietet. Die Parteien streiten über die Erstattung von vorgerichtli­chen Rechtsverfolgungskosten, die durch den Geschädigten XXXXX XXXXX, welcher die Kläge­rin mit der außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus einem Haftpflichtschadensfall vom 20.05.2021 gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des unfallverur­sachenden Fahrzeugs beauftragte, an die Klägerin abgetreten wurden.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist aktivlegitimiert.

Die Forderungsabtretung ist zunächst nicht wegen Verstoßes gegen das Verbot der Erbringung unerlaubter Rechtsdienstleistungen gem. § 134 BGB iVm. § 2 Abs. 1, 3, 5, 10 RDG nichtig.

Auch wenn die zu dieser Problematik ergangenen Urteile des BGH vom 27.11.2019 (VIII ZR 285/18) und 08.04.2020 (VIII ZR 130/19) nicht die Geltendmachung von Schadensersatzansprü­chen aus Haftpflichtschadensfällen zum Gegenstand haben, sind die festgestellten Grundsätze zum Umfang der gesetzlichen Erlaubnis gem. § 3 RDG auch in diesem Fall anwendbar und füh­ren zur Überzeugung des Gerichts dazu, dass die Klägerin außergerichtliche Rechtsdienstleis­tungen erbringt, die von der, ihr aufgrund der Registrierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 RDG erteilten Erlaubnis, Inkassodienstleistungen zu erbringen, gedeckt ist.

Der BGH stellt insofern in seinem Urteil vom 27.11.2019 (aaO) fest, dass der Begriff der Rechts­dienstleistung in Gestalt der Inkassodienstleistung (Forderungseinziehung) gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG, die ein im Rechtsdienstleistungsregister eingetragener Inkassodienstleister nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG erbringen darf, unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber mit

dem Rechtsdienstleistungsgesetz – in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverfas­sungsgerichts – verfolgten Zielsetzung einer grundlegenden, an den Gesichtspunkten der Deregu­lierung und Liberalisierung ausgerichteten, die Entwicklung neuer Berufsbilder erlaubenden Neu­gestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen ist. Vielmehr ist – innerhalb des mit diesem Gesetz verfolgten Schutzzwecks, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechts­dienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG) – eine eher großzügige Betrachtung gebo­ten (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 1 BvR 423/99, NJW2002, 1190 und BVerfG, Beschluss vom 14. August 2004 – 1 BvR 725/03, NJW-RR 2004, 1570 [jeweils zum RBerG]).

Für die auf dieser Grundlage vorzunehmende Beurteilung, ob sich die Tätigkeit eines registrierten Inkassodienstleisters innerhalb seiner Inkassodienstleistungsbefugnis gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG hält, lassen sich keine allgemeingültigen Maßstäbe aufstellen. Erforderlich ist vielmehr stets eine am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes orientierte Würdigung der Um­stände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen. Dabei sind die Wertentscheidungen des Grundgesetzes in Gestalt der Grundrechte der Beteiligten sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen und ist den Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2004 – 1 BvR 1807/98, NJW 2004, 672; BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 1 BvR 423/99, NJW 2002, 1190, 1191 f.; BVerfG, Beschluss vom 14. August 2004 – 1 BvR 725/03, NJW-RR 2004, 1570 und BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1997-1 BvR 780/87, BVerfGE 97, 12, 32 [jeweils zum RBerG]).

Überschreitet hiernach ein registrierter Inkassodienstleister seine Inkassodienstleistungsbefugnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, kann darin ein Verstoß gegen § 3 RDG liegen. Ein solcher Verstoß hat, wenn die Überschreitung bei einer umfassenden Würdigung der Gesamtumstände aus der objektivierten Sicht eines verständigen Auftraggebers des Inkassodienstleisters zum ei­nen eindeutig vorliegt und zum anderen unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Rechts­dienstleistungsgesetzes in ihrem Ausmaß als nicht nur geringfügig anzusehen ist, die Nichtigkeit nach § 134 BGB der zwischen dem Inkassodienstleisterund dessen Auftraggeber getroffenen In­kassovereinbarung einschließlich einer in diesem Zusammenhang erfolgten Forderungsabtretung zur Folge (Anschluss an und Fortführung von BGH, Urteile vom 30. Oktober 2012 – XI ZR 324/11, NJW 2013, 59 Rn. 34 ff.; vom 11. Dezember 2013 – IV ZR 46/13, NJW 2014, 847 Rn. 31; vom 21. Oktober 2014 – VI ZR 507/13, NJW 2015, 397 Rn. 5; vom 11. Januar 2017 – IV ZR 340/13, VersR 2017, 277 Rn. 34 und vom 21. März 2018 – VIII ZR 17/17, NJW 2018, 2254 Rn. 18; BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 1 BvR 423/99, NJW2002, 1190, 1192).

Von einer Nichtigkeit nach § 134 BGB ist danach insbesondere dann regelmäßig auszugehen, wenn der registrierte Inkassodienstleister Tätigkeiten vornimmt, die von vornherein nicht auf eine Forderungseinziehung im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG, sondern etwa auf die Abwehr von Ansprüchen gerichtet sind oder eine über den erforderlichen Zusammenhang mit der Forderungs­einziehung hinausgehende Rechtsberatung zum Gegenstand haben oder wenn das „Geschäfts­modell“ des Inkassodienstleisters zu einer Kollision mit den Interessen seines Auftraggebers führt.

Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert (§ 2 Abs. 1 RDG). Unabhängig davon ist nach der Le­galdefinition des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenstän­diges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung), stets eine Rechtsdienstleistung. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RDG dürfen natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die – wie die Klägerin – bei der zuständigen Behörde registriert sind (regis­trierte Personen), aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in bestimmten, in die­ser Vorschrift bezeichneten Bereichen erbringen. Hierzu gehören gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RDG).

Nach § 3 RDG ist die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur „in dem Umfang zulässig“, in dem sie durch das Rechtsdienstleistungsgesetz oder durch oder auf­grund anderer Gesetze erlaubt wird. Insbesondere die Formulierung „in dem Umfang“ deutet dar­auf hin, dass der Gesetzgeber die Fälle, in denen ein Erlaubnistatbestand erfüllt ist, nicht generell, sondern nur insoweit aus dem Anwendungsbereich des Verbotstatbestands des § 3 RDG her­ausnehmen wollte, als sich die konkret zu beurteilende Rechtsdienstleistung in den Grenzen des jeweiligen Erlaubnistatbestands hält.

Nach dem Urteil des BGH vom 27.11.2019 (aaO) hat indes nicht jede – auch geringfügige – Über­schreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG) ohne weiteres stets auch die Nichtigkeit der auf die Verletzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes gerichteten Rechtsgeschäfte nach § 134 BGB zur Folge. So kann es Fälle geben, bei denen die Überschrei­tung der Inkassodienstleistungsbefugnis so geringfügig ist, dass noch nicht einmal ein Verstoß gegen § 3 RDG vorliegt. Daneben kann es Fälle geben, bei denen ein solcher Verstoß zwar vor­liegt, aber aufgrund einer verfassungsgemäßen Auslegung und Anwendung des § 134 BGB jedenfalls eine Nichtigkeit der diesem Verstoß zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit (vgl. hierzu BVerfG, NJW2002, 1190, 1192) nicht angenommen werden kann. So wird die Annahme einer Nichtigkeit nach § 134 BGB im Falle einer Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG in der Regel voraussetzen, dass die Überschreitung bei einer – in erster Linie dem Tatrichter obliegenden – umfassenden Würdigung der Gesamtumstände aus der objektivierten Sicht eines verständigen Auftraggebers eindeutig vorliegt und unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Rechtsdienstleistungsgeset­zes, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG), in ihrem Ausmaß als nicht nur ge­ringfügig – etwa auf Randbereiche beschränkt – anzusehen ist. Der genannten Eindeutigkeit der Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis bedarf es dabei auch deshalb, um nicht dem Kunden, insbesondere bei schwieriger Rechtslage, das Risiko dieser Einschätzung aufzubürden.

Die hier gegenständliche Tätigkeit der Klägerin bewegt sich im Rahmen der zulässigen Inkasso­dienstleistung gem. § 2 RDG und ist von der nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG bestehenden Befugnis der Klägerin, als registrierte Person Rechtsdienstleitungen im Bereich der Inkasso­dienstleistungen zu erbringen, gedeckt.

Vor dem Hintergrund, dass maßgebend für diese Beurteilung insbesondere die durch den Ge­setzgeber mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz verfolgte Zielsetzung einer grundlegenden, an den Gesichtspunkten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichteten Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen ist, mit der der Gesetzgeber an die zuvor bereits in diese Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anknüpfen, diese umsetzen, fortführen und hierbei zugleich den Deregulierungsbestrebungen der Europäi­schen Kommission im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs Rechnung tragen wollte (vgl. BT-Drucks. 16/3655, S. 1, 26 ff., 42; siehe auch BT-Plenarprotokoll 16/118, S. 12256, 12257 f.), ist eine Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis der Klägerin nicht erkennbar.

Nach der in der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG enthaltenen Legaldefinition ist eine Inkasso­dienstleistung die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung ab­getretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Ist eine Person gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG bei der zuständigen Behörde für den Bereich der Inkassodienstleistungen registriert, darf sie aufgrund besonderer Sachkunde Rechts­dienstleistungen in diesem Bereich erbringen.

Die Klägerin verfügt über eine solche Registrierung und betreibt die Geltendmachung von Ansprüchen der vorliegenden Art als eigenständiges Geschäft im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG. Ein eigenständiges Geschäft im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Forderungseinziehung in­nerhalb einer ständigen hauptberuflichen oder nebenberuflichen Inkassotätigkeit oder außerhalb einer solchen nicht lediglich als Nebenleistung im Zusammenhang mit einer anderen beruflichen Tätigkeit erfolgt. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, da die Klägerin die hier in Rede stehen­de Verfolgung von Schadensersatzansprüchen innerhalb ihrer ständigen hauptberuflichen (Inkasso-)Tätigkeit betreibt.

Die von der Klägerin für die Geschädigte im vorliegenden Fall erbrachten Tätigkeiten sind als In­kassodienstleistungen gemäß dieser Bestimmung anzusehen, da sie letztlich auf die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen ausge­richtet sind (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RDG).

Da nach Maßgabe des Urteils des BGH vom 27.11.2019 (aaO) zur Beurteilung, ob sich die ge­genständliche Tätigkeit im Rahmen der Befugnis bewegt, eine am Schutzzweck des Rechts­dienstleistungsgesetzes, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG), orientierte Würdi­gung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen ist, sind auch die Wertentscheidungen des Grund­gesetzes zu berücksichtigen. Folglich sind die Grundrechte der Beteiligten – namentlich zum ei­nen die Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters (Art. 12 Abs. 1 GG) und zum anderen die zugunsten des Kunden zu berücksichtigende Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), die – be­reits entstandene – schuldrechtliche Forderungen umfasst (BVerfG, NJW2001, 2159 f. mwN) -sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2002,  1190, 1192; BVerfGE 143, 246 Rn. 268, 372; BVerfG, NVwZ 2017, 702 Rn. 19; jeweils mwN) in den Blick zu nehmen und ist hierbei auch den Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, NJW 2004, 672; NJW 2002, 1190, 1191 f.; NJW-RR 2004, 1570, 1571; BVerfGE 97, 12, 32; [jeweils zum RBerG]; BT-Drucks. 16/3655, S. 37 f., 47; vgl. auch BGH, Urteile vom 30. Okto­ber 2012 – XI ZR 324/11, aaO Rn. 11 ff.; vom 21. März 2018 – VIII ZR 17/17, aaO Rn. 20 ff.).

Zur Inkassodienstleistung gehört eine auf die Forderungseinziehung bezogene rechtliche Bera­tung des Gläubigers.

Die hier zu beurteilenden Tätigkeiten der Klägerin dienen der Einziehung der den Unfallgeschädig­ten entstandenen Haftpflichtschäden.

Dem Inkassodienstleister ist grsl. auch eine umfassende rechtliche Forderungsprüfung und eine substantielle Beratung des Kunden über den Forderungsbestand gestattet (BVerfG, Beschluss 20.02.2002, NJW 2002,1190). Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht im Wesentli­chen ausgeführt: Mit der Rechtsberatung im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG sei grund­sätzlich die umfassende und vollwertige Beratung der Rechtsuchenden, wenn auch nur in einem bestimmten – in Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 RBerG genannten – Sachbereich gemeint. Der Erlaubnis­vorbehalt für Inkassounternehmer flankiere denjenigen für die Besorgung fremder Rechtsangele­genheiten, einschließlich der Rechtsberatung. Er diene dazu, die mit dem geschäftsmäßigen For­derungseinzug einhergehende besondere Form der Rechtsbesorgung und Rechtsberatung in den Schutzzweck des Rechtsberatungsgesetzes einzubeziehen (BVerfG, aaO). Zu der einem solchen Inkassounternehmen gestatteten Rechtsberatung gegenüber seinem Kunden gehört auch die Äußerung von Rechtsansichten gegenüber dem Schuldner nach Erhebung von Einwen­dungen. Diese rechtliche Qualifizierung des Geschäftsgegenstandes, für die der Inkassounter­nehmer seinem Mandanten gegenüber Verantwortung trage, bleibe Teil seiner erlaubten Rechts­besorgung und werde nicht etwa zum Rechtsrat gegenüber dem Schuldner (BVerfG, NJW-RR 2004, 1570, 1571).

Nach diesen Grundsätzen ist nicht zu erkennen, dass die Klägerin mit ihrer Tätigkeit ihre Befug­nis überschreitet.

Die Klägerin ist auch durch wirksame Abtretung Forderungsinhaberin geworden und damit aktiv­legitimiert. In den gerichtsbekannten AGB der Klägerin heißt es: „Mit Einwilligung in die Allgemei­nen Geschäftsbedingungen wird der Kostenanspruch in Höhe des gem. § 4 RDGEG i.V.m. RVG analog zu beanspruchenden Betrages aufschiebend bedingt zum Zeitpunkt der Mandatsübernah­me erstrangig und unerfüllt gegen Schädiger, Halter, Haftpflichtversicherer und Dritte aus dem gemeldeten Schadensereignis an uns an Erfüllung statt abgetreten. Wir nehmen die Abtretung mit Mandatsannahme an. Soweit der Anspruchsgegner die Zahlung des Vergütungsanspruchs unberechtigt verweigert, setzen wir diesen gerichtlich in eigenem Namen und auf eigene Rech­nung durch.“ Mit Erklärung vom 22.06.2021 bestätigt der Geschädigte XXXX XXXXX erneut un­terschriftlich die Abtretung des hier gegenständlichen Anspruchs. Die formularmäßige Abtretung an Erfüllung statt begegnet hier keinen rechtlichen Bedenken.

Die Klägerin hat Anspruch auf 90,96 € Rechtsverfolgungskosten.

Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 II 1 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (Senat NJW 2017, 3588 Rn. 6; NJW 2006, 1065; NJW 2005, 1112 = VersR 2005, 558 [559]; BGHZ 127, 348 [350] = NJW1995, 446; BGH NJW 2015,147 BGH: Berücksichtigung von Großkundenrabatten bei    fiktiver Schadensabrechnung(NJW 2020, 144) 3447 Rn. 55) hat der Schädiger allerdings nicht schlecht­hin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforder­lich und zweckmäßig waren. Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Scha­densbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen (vgl. Senat NJW 2017, 3527 Rn. 10; NJW 2012, 2194 = DAR 2012, 387 Rn. 8; NJW-RR 2007, 856 Rn. 10, jew. mwN). An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Ist die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne Weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde, so wird es grundsätzlich nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherer einen Rechtsanwalt hinzuzuzie­hen (vgl. Senat NJW-RR 2007, 856; NJW 2005, 1112 = VersR 2005, 558 [559]; BGHZ 127, 348 [351 f.] = NJW 1995, 446). In derart einfach gelagerten Fällen kann der Geschädigte grundsätzlich den Schaden selbst geltend machen, so dass sich die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts nur unter besonderen Voraussetzungen als erforderlich erweisen kann, etwa wenn der Ge­schädigte aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden (Senat BGHZ 127, 348 [352] = NJW 1995, 446; NJW-RR 2007, 856; BGH NJW 2015, 3447 Rn. 55).

Diese Grundsätze gelten entsprechend für die Heranziehung eines Inkassodienstes.

Vorliegend handelte es sich, auch nach dem Vortrag der Beklagten, um einen komplexen Ver­kehrsunfall im fließenden Verkehr, sodass aus Sicht der Geschädigten die Beauftragung der Klä­gerin zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlich und zweckmäßig war. Die Rechtsverfolgungs­kosten sind daher bis zur Deckelung durch entsprechende RVG-Gebühren erstattungsfähig.

Die Klägerin machte unstreitig für den Geschädigten 338,64 € erfolgreich geltend, sodass sich hieraus der entsprechende Kostenerstattungsanspruch gem. § 4 RDGEG i.V.m. RVG VV analog in Höhe von 90,96 € ergibt. Die Erhebung einer 1,3 Mittelgebühr ist vorliegend für die durchschnitt­liche Tätigkeit nicht zu beanstanden.

Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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Tim Platner

Tim Platner ist Geschäftsführer von VINQO und als Jurist für die rechtliche und strategische Ausrichtung verantwortlich. Zu seinem juristischen Schwerpunkten zählen das Verkehrsunfall- sowie das allgemeine Schadenersatzrecht.

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